Astrologen, Aura-Fotografen, Telepathen, Homöopathen und Chiropraktiker - die Aussteller der 'Naturheiltage' auf dem Hannoveraner Messegelände sind nicht die typischen Anzugträger, sondern ein eher alternatives und bunt gemischtes Volk.
Aber nicht unbedingt friedfertiger. Schon am Eröffnungsabend wird bei einem Streit zwischen einem Atemtherapeuten und einer Tiertelepathin deutlich, dass die Aussteller in zwei Lager gespalten sind: Heilpraktiker und Esoteriker.
Am nächsten Tag wird ein lebensgefährlicher Anschlag auf die Tiertelepathin verübt und die ersten Indizien weisen auf zwei Heilpraktiker hin. Die kriminalistische Neugier von Sonia Assmer, Werbeassistentin auf der Messe, ist erneut geweckt. Sie beginnt sich im Umfeld der Verunglückten umzuhören und stößt dabei auf einen immer größeren Kreis an Verdächtigen...
AUSZUG
Kapitel
1
Montagmittag, 18. Juni 2012
„Kommt
einer mit? Ich will mir von den Toten die Zukunft voraussagen lassen.“ Nele
stand in der Bürotür und klopfte ungeduldig mit den Fingern an den Rahmen.
Sonia
hob den Kopf und blickte fragend zu ihrer Kollegin Amanda rüber, die ihr
gegenüber saß. Diese fuhr sich mit der Hand durch ihre roten, kurzen Haare und
schüttelte missbilligend mit dem Kopf, während sie Nele mit zusammengekniffenen
Augen anschaute.
„Menschen,
die im Esoterikbereich tätig sind, haben eine“, sie betonte die Zahl,
„Fähigkeit. Das heißt, entweder ist jemand ein Medium und kann mit Toten
kommunizieren oder er kann dir mithilfe von Karten oder ähnlichem die Zukunft
voraussagen. Aber beides zusammen gibt es nicht.“
„Mandy!
Du kennst dich ja richtig aus! Das hätte ich nicht von dir gedacht. Sag bloß,
du glaubst an solche Sachen?“ Neles Finger hatten aufgehört zu trommeln.
Sonia
hörte eine Art Schnauben aus Amandas Richtung, bevor diese antwortete: „Es gibt
nicht immer für alles auf dieser Welt simple Erklärungen. Ich bin einfach offen
für Neues.“
Bevor
das Gespräch ihrer Kolleginnen in einen Streit ausarten würde, griff Sonia ein.
„Wann
wolltest du rübergehen?“, wandte sie sich an Nele.
„Jetzt.“
Nele hielt einen Apfel hoch. „Quasi ein Spaziergang in der Mittagspause.“
„Ohne
mich. Ich brauche was Ordentliches zu Essen und nicht nur ein Stück Obst.“
Amanda fuhr mit ihrem Rollstuhl vom Schreibtisch weg und warf einen Blick auf
ihre junge blonde Kollegin. „Reicht dir der Apfel? Oder machst du etwa schon
wieder eine Diät? An dir ist doch kein Gramm Fett.“
Sonia
musterte Nele und musste Amanda Recht geben. Nele hatte schon immer eine
schlanke Figur gehabt, aber in dem leichten Sommerkleid, welches sie heute
trug, fielen ihre perfekten Proportionen umso mehr auf.
„Ich geh
lieber in die Kantine und fahre ab Mittwoch, wenn die Messe offiziell eröffnet
wurde, durch die Hallen. Dann sind die Aussteller mit dem Aufbau fertig und ich
sehe viel mehr als jetzt“, gab Mandy bekannt. Sie und Nele drehten sich fragend
zu Sonia.
Diese
dachte an das Brot in ihrer Handtasche.
„Aber
ich komme mit. Ob ich mein Brot am Schreibtisch esse oder in der Halle, ist
egal. Außer, dass es unten interessanter ist.“
Sonia
öffnete ihre Strickjacke, als sie mit Nele hinaustrat. Es war viel wärmer als
für diesen Junitag in Hannover ursprünglich vorausgesagt worden war. Auf der
Rasenfläche vor Halle 2 saßen einige Messemitarbeiter auf Strandstühlen, die
der Betriebsrat im Sommer zur Verfügung stellte und genossen ihre Mittagspause
in der Sonne. Die beiden Kolleginnen bogen vor dem runden Bau des Messe
Conference Centers nach rechts ab und gingen an der Baustelle für das neue
Bürogebäude vorbei.
„Ich
finde es erstaunlich, wie schnell die Entscheidung für einen Neubau gefallen
ist“, bemerkte Sonia mit Blick auf das ausgehobene Loch für das Fundament.
„Offenbar
waren sich alle Parteien sofort einig“, stimmte ihre Kollegin zu.
Da die
Stadt Hannover und das Land Niedersachsen die größten Anteilseigner an der
Messegesellschaft waren, konnten solche großen Bauvorhaben nur mit der
Genehmigung beider Seiten erfolgen. Als vor der Computermesse HIT im März
bekannt geworden war, dass in dem ältesten Bürogebäude die
Sicherheitsbestimmungen des Feuerschutzes veraltet waren und die neuen Maßstäbe
nicht erfüllt wurden, beschloss die Messe sofort einen Neubau. Nachdem die
große Industriemesse IndEx Mitte April beendet war, wurde mit den
Abrissarbeiten der Halle 18 begonnen. Knappe sechs Wochen später hatten riesige
Bagger unglaubliche Erdmassen weggeschaufelt und jetzt war anstelle der
ehemaligen Ausstellungshalle ein großes, tiefes Loch auf dem Messegelände.
„Hauptsache,
die sind bis zur nächsten HIT fertig. Denn das hier“, Sonia zeigte auf die
staubige Baustelle, „geht ja gar nicht.“
„Ich
habe letzte Woche im Fahrstuhl zwei von der Bauleitung getroffen. Die meinten, es
wird sicherlich noch bis April oder sogar Mai dauern.“ Nele öffnete die Tür zur
Halle 22. „So, hinein in die gute Stube.“
Zum
ersten Mal veranstaltete Sonias Arbeitgeber die Messe ‚Naturheiltage‘ auf dem
Hannoveraner Messegelände. Es gab zunächst ein paar Stimmen im Unternehmen, die
von der Idee, Heilpraktikern und anderen selbst ernannten Wunderheilern eine
Plattform zu bieten, nicht angetan waren. Aber im Hinblick auf das ruhige Sommergeschäft,
welches für die Messe leere Hallen und keine Umsätze bedeutete, konnten auch
die letzten Zweifler überzeugt werden. Kaum hatte die Messegesellschaft der
Öffentlichkeit das Konzept der Naturheiltage vorgestellt, brach ein
Ausstelleransturm über die Messe herein. Denn nicht nur die von der Messe
erwarteten Aussteller begrüßten diese Möglichkeit für sich, ihre
Dienstleistungen und Produkte zu werben, sondern es meldeten sich auch
Geschäftsleute aus anderen Feldern an, die plötzlich einen esoterischen
Schwerpunkt in den Mittelpunkt ihres Unternehmens rückten.
So kam
es, dass neben der Halle 21 plötzlich auch die Stellflächen in den Hallen 20
und 22 vermietet wurden. Hier tummelten sich jetzt Anbieter verschiedenster
Dekorationsartikel, es gab Kissen und Schuhe, die Verspannungen lösen oder
gleich vorbeugen sollten, bioenergetische Wellness-Kleidung nach Feng Shui,
Naturseifen oder auch Hochleistungsmixer für gesunde Smoothies. Alle Unternehmen
priesen auf ihren Plakaten die wohltuende Wirkung ihrer Produkte an:
‚Wohlfühloasen‘, ‚Belebendes Chi‘ und ‚heilende Reinigung‘ waren nur einige Stichworte,
die Sonia im Vorbeigehen las.
Nele
biss von ihrem Apfel ab und zeigte kauend auf einen Landschaftsgärtner, der an
seinem Messestand gerade Rindenmulch auf den Boden kippte.
„Dehatolsteintir“,
erzählte sie Sonia mit vollem Mund.
„Wie
bitte? Ich verstehe kein Wort.“
Nele
schluckte geräuschvoll herunter.
„Der hat
tolle Steintiere“, wiederholte sie. „Ich erinnere mich an den Aussteller von
der Consuma im Herbst. Bei dem hat meine Mutter letztes Jahr nämlich ein paar
Tiere für ihren Gartenteich gekauft.“
Sonia
blickte zu den dekorativen Steinen.
„Bei der
Verbrauchermesse im Oktober waren das vermutlich noch simple Steine und jetzt
‚erfüllen die beschaulichen Skulpturen Ihren Garten mit einer beruhigenden
Kraft, bei der Sie die Hektik Ihres Alltags abstreifen können‘“, las sie mit
hochgezogener Augenbraue von einem Plakat vor.
„Ist
schon lustig, wie schnell sich ein Marketingtext ändert, wenn sich das Publikum
ändert, oder? Aber das wissen wir ja selbst am besten“, Nele grinste ihre
Kollegin an.
„Willst
du hier noch was gucken? Sonst können wir die Halle geradewegs durchqueren und
uns lieber in Halle 21 länger umschauen.“ Sonia hoffte, dass ihre Stimme nicht
drängend klang.
Sie
wollte nicht, dass Nele mitbekam, wie gespannt sie auf die sogenannten
Wunderheiler war. Ihre Tante Eleonore hatte in Oregon als eine sogenannte
Pferdeflüsterin gelebt und nachdem Sonia und ihre Eltern sie dort mal besucht
hatten, hatte ihr Vater den Kontakt mit der ‚Hexe‘ wie er sie nannte, komplett
abgebrochen. Sonia war fasziniert von ihrer Tante gewesen. Doch leider verstarb
Eleonore kurze Zeit nach dem Besuch ihrer Familie, so dass Sonia keine
Gelegenheit mehr erhielt, mehr über ihre Tante und deren ungewöhnlichen Fähigkeiten
zu erfahren. Jedes Mal, wenn sie ein Gespräch über Eleonore begann, wechselte
ihre Familie sofort das Thema und machte Sonia unmissverständlich klar, dass
man nicht über sie sprechen wollte.
Daher brannte
sie jetzt förmlich darauf, sich mit jemandem zu unterhalten, der eine besondere
Gabe hatte. Und vielleicht sogar etwas über ihre Tante zu erfahren.
„Gute
Idee. Die Aussteller scheinen sowieso weitestgehend die zu sein, die immer zur Consuma
im Lifestyle-Bereich anwesend sind. Da verpassen wir nichts“, pflichtete Nele
ihr bei und ging schnellen Schrittes voran.
Sonia
holte nun ihr Brot heraus und biss im Gehen davon ab. Ursprünglich hatte sie es
erst auf dem Rückweg essen wollen, aber jetzt hatte sie plötzlich ein flaues
Gefühl im Magen. Das lag sicherlich mehr an der Aufregung, gleich jemanden mit
einer übernatürlichen Fähigkeit kennen zu lernen, als am Hunger. Sie biss noch
mal kräftig ab und steckte das Brot dann wieder weg. Stattdessen griff sie in
ihre Tasche und holte einen PEZ-Spender in Form eines kleinen weißen Aliens
hervor. Sie poppte ihn mit dem Daumen auf und ließ sich zwei kleine
Pfefferminzbonbons in den Mund fallen. Sofort merkte sie, wie sie ruhiger
wurde.
Nele
grinste, als sie die Plastikfigur sah.
„Du hast
auch echt für jede Gelegenheit einen passenden PEZ-Spender, oder?“,
kommentierte sie Sonias Sammelleidenschaft. „Wie viele Spender hast du
mittlerweile? Vielleicht können wir dich damit mal beim Guinness Buch der
Rekorde anmelden.“
Sonia
schüttelte mit dem Kopf.
„Ich
glaube, dass wird nichts. Da soll es Sammler in den USA geben, die mehr als 300
Figuren haben und…“
„Mehr
als 300?“, unterbrach Nele ihre Kollegin und riss die Augen weit auf. „Heißt
das, du hast um die 300 verschiedene PEZ-Spender?“
„Nein.
Das letzte Mal, als ich eine ordentliche Bestandsaufnahme gemacht habe, waren
es nur knapp 200.“
„Ach so.
Nur knapp 200.“ Nele versuchte ihrer Stimme einen enttäuschten Klang zu
verpassen, aber Sonia erkannte, dass ihre Kollegin in Wirklichkeit beeindruckt
war und sie nur foppen wollte.
Bevor
sie jedoch etwas erwidern konnte, waren sie an der Halle 21 angelangt und Nele
trat vor, um die große Glastür zu öffnen. Sofort schlug den beiden jungen
Frauen der eindringliche Geruch von Räucherstäbchen in die Nase.
„Puh,
ist das Opium?“ Nele rümpfte die Nase. „Hoffentlich zünden die ab Mittwoch
nicht alle sowas an und stinken die Hallen damit voll.“
Sonia
schwieg. Ihr gefiel der Geruch zwar auch nicht, aber er passte irgendwie zu dem
eher alternativen Flair der bevorstehenden Messe. Sie schaute sich interessiert
um. Zwischen den vielen Ständen von Heilpraktikern befanden sich auch Anbieter
von gesundheitsfördernden Produkten: vom Entspannungstee zum Magnetgürtel bis
hin zum Massagesessel war alles vertreten. Doch noch sah sie keinen Stand, der
zu einem Wunderheiler hätte gehören können.
„Aha.“
Nele zeigte in eine Richtung. „Dort sieht es gut aus.“
Sonia
folgte der ausgestreckten Hand ihrer Kollegin mit den Augen und sah einen
Stand, an dem ein Mittfünfziger gerade vorsichtig einen geschliffenen
Glasquader in eine Vitrine stellte. Über ihm hing ein Schild, welches die
ungewöhnlichen Stücke als ‚Lichtkristalle – im Auftrag des Herrn geschaffen‘
bezeichnete. Beim Vorbeigehen warf sie verstohlen einen weiteren Blick auf den
Stand und erkannte, dass in jedes Glasstück ein Engel eingeschliffen war und
die einzelnen Kristalle für 200 Euro verkauft werden sollten.
Sonia
zog hörbar die Luft ein.
„Hast du
eben diese Glasdingern gesehen?“, raunte sie Nele leise zu. „200 Euro für so
ein Ding? Geschaffen im Auftrag des Herrn? Das hört sich für mich nach echter
Abzocke an.“
„Wieso?“
Nele warf Sonia einen ungerührten Blick zu. „Immerhin ist 200 Euro der
Messepreis. Normalerweise kosten die Dinger 250 Euro – stand zumindest so auf
einem Plakat.“
Sonia
öffnete den Mund, um zu protestieren, doch bevor sie etwas sagen konnte, stieß
Nele ein ‚Hah!‘ aus.
Sonia
blickte nach vorn und sah einen Ausstellerstand auf dessen Banner ‚Sehen Sie hier
in Ihre Zukunft!‘ stand. Nele rückte ihr Namensschild von der Messe am Revers
zurecht und steuerte ohne Umschweife auf den Stand zu. Dabei fiel Sonia auf,
dass sie ihr Schild nicht mitgenommen hatte. Dies tat sie selten, wenn sie über
die verschiedenen Messen ging. Denn es gab nichts Schlimmeres für sie als von
Ausstellern als Messemitarbeiterin erkannt zu werden und dann die Klagen über
die zu wenigen Stromanschlüsse, die falsche Teppichfarbe oder auch die hohen
Standgebühren zu hören. Nele hingegen nahm das alles einfach hin. Im Gegenzug
gab es manchmal von Ausstellern ein Extrageschenk und dafür lohnte es sich nach
Neles Meinung, sich die Beschwerden anzuhören.
„Möchten
die Damen einen Blick in ihre Zukunft werfen?“ Eine Frau mit langen blonden
Haaren stand hinter dem Stand und lächelte Sonia und Nele freundlich an.
„Och,
wissen Sie, ich habe gar kein Geld dabei. Meine Kollegin und ich wollten nur
schauen, ob soweit alles mit dem Aufbau klappt.“ Nele wusste genau, wie sie mit
den Ausstellern reden musste.
„Aber
wer hat denn von Bezahlung gesprochen? Für Sie schaue ich doch gerne auch mal
gratis in die Karten.“
Sonia
musste ein Grinsen unterdrücken. Nele hatte es offenbar wieder geschafft.
„Das
wäre ja total lieb von Ihnen“, gurrte Nele.
„Kommen
Sie, setzen Sie sich an den kleinen Tisch dort. Ich hole nur kurz meine
Karten.“
Die Frau
kramte unter dem Tresen. Während Nele sich sofort an den Tisch setzte, blieb
Sonia im Gang stehen. Nele winkte ihr zu.
„Los.
Komm.“
Sonia
schüttelte mit dem Kopf. Sie wollte nichts über ihre Zukunft erfahren. Sie war
an Menschen interessiert, die besonders feinfühlig waren, einen siebten Sinn
hatten – irgendwie so was in der Art. Genau wusste Sonia auch nicht, nach wem
sie eigentlich Ausschau halten sollte. Aber sie vertraute darauf, dass, wenn
sie jemanden mit einer bestimmten Fähigkeit treffen würde, dann wüsste, ob er
ihr helfen könnte, mehr über ihre Tante zu erfahren.
„Trauen
Sie sich nicht zu Veronika?“, ertönte plötzlich eine Männerstimme hinter Sonia.
Sie drehte sich um und sah am Stand
gegenüber einen Mann in seinen Vierzigern, der sie ansah. Er strich sich durch
seine braunen Haare, die zu einem Seitenscheitel gekämmt waren und fuhr fort: „Sie ist wirklich
gut.“
„Nein,
das ist es nicht. Ich lasse mich nur gerne von der Zukunft überraschen“, redete
sie sich raus. „Mich interessiert viel mehr, wie Menschen plötzlich
feststellen, dass sie eine besondere Gabe besitzen. Ist man einfach ein Wunderheiler
oder kann man das auch lernen?“
„Entschuldigung,
aber da muss ich Sie korrigieren. Wir sind Esoteriker und mit Wundern haben wir
nichts zu tun.“
Sonia
schaute auf seinen Stand. ‚Kennen Sie Ihr Schicksal?‘, ‚Detaillierte Horoskope
für Leben, Liebe und Gesundheit in wenigen Minuten‘ und ‚Mehr über Ihre
Persönlichkeit in Sekundenschnelle‘ prangte in großen Buchstaben quer über der
Stellfläche hinter ihm.
„Gestatten
Sie, dass ich mich vorstelle. Martin Behrens, Astrologe. In Veronikas und
meinem Fall kann ich Ihnen versichern – wir haben keine besonderen Fähigkeiten.
Wir lesen nur, was uns die Karten beziehungsweise die Sterne verraten.“
Sonia
blickte ihn fragend an.
„Wenn
Sie krank sind, gehen Sie zum Arzt. Sie teilen ihm Ihre Beschwerden mit und er
erstellt eine Diagnose. Wenn Sie Fragen zu Ihrer Partnerschaft, dem Berufsleben
oder anderen Bereichen des Lebens haben, können Sie sich an uns wenden. Wir
stellen zusammen mit Ihnen die Fakten auf und sagen Ihnen, was diese bedeuten. Esoteriker
verfahren nach dem gleichen Prinzip wie ein Arzt, denn die Astrologie und die
Kartenleserei sind ja auch exakte Wissenschaften.“
Jetzt
musste Sonia schlucken. Exakte Wissenschaften? Wollte der Mann ihr nichts über
seine Gabe erzählen? Denn als exakte Wissenschaft hätte sie weder die
Astrologie noch das Kartenlesen bezeichnet.
„Bei
Luna ist das allerdings anders.“ Martin Behrens zeigte auf den Nachbarstand zu
seiner Rechten. Dieser wirkte durch seinen dunklen Holzbau sehr edel im
Gegensatz zu den anderen Ständen. ‚Luna – Tiertelepathin‘ las Sonia auf dem
sparsam gehaltenen Plakat am Tresen.
„Tiertelepathin
– heißt dass, sie kann tatsächlich die Gedanken von Tieren lesen?“ Sonia
klopfte das Herz plötzlich bis zum Hals. Das war genau das, was Sonia gesucht
hatte. Eine Person, die so feinfühlig und sensibel war, dass sie telepathische
Kräfte hatte. Luna schien genau die Frau zu sein, mit der sie sich gerne
unterhalten wollen würde.
Martin
Behrens nickte.
„Luna kann mithilfe eines Fotos sagen, wie es Ihrem Tier
geht. Was es fühlt, was ihm fehlt, etc. Ziemlich beeindruckend. Luna hat eine
Gabe.“
„Ja, eine Gabe, Leuten das Geld aus
der Tasche zu ziehen“, ertönte eine tiefe Stimme hinter Sonia. Sie drehte sich
um und sah sich einem übergewichtigen Mann mit beginnenden Geheimratsecken
gegenüber, der atemlos schnaufte.
„Gehen Sie nicht zu Luna. Die zieht
sie nur mit ihrem Hokus Pokus über den Tisch. Nennen sich Esoteriker, weil
ihnen Wunderheiler nicht mehr fein genug ist – alles Quatsch. Quacksalber sind
das! Versprechen wunderliche Dinge und zocken Sie dabei nur ab!“ Er griff in
seine Tasche und wischte sich mit einem Taschentuch ein paar Schweißperlen von
der Stirn.
„Weißt
du was, Anders? Wieso gehst du nicht wieder zurück auf eure Seite? Das Rumgezetere von einem Streithahn wie dir
können wir hier nicht gebrauchen!“ Martin Behrens sah wütend aus und Sonia schaute
neugierig von einem zum anderen. Von welcher Seite sprach der Astrologe?
„Hören
Sie. Ich bin Physiotherapeut und behandle Tiere seit über 15 Jahren. Und ich
habe genügend Kontakt mit Luna gehabt, um Ihnen versichern zu können, dass sie
Ihrem Tier nicht helfen kann.“ Der Mann namens Anders griff wieder in seine
Tasche und holte eine zerknitterte Visitenkarte heraus.
„Kommen
Sie mit Ihrem Tier bei mir vorbei. Halten Sie sich fern von diesen
Scharlatanen. Eine Schande, dass man solche Leute auf diese Messe gelassen
hat!“ Er drückte Sonia seine Karte in die Hand und verschwand den Gang runter.
‚Anders
Willems, Tierphysiotherapeut‘ las Sonia auf der Karte. Plötzlich griff Martin
Behrens sie grob am Arm.
„Vergessen
Sie Anders. Der ist wütend, weil er mal mit Luna ein Geschäft aufziehen wollte
und das nicht geklappt hat. Seitdem stänkert er bei jeder Gelegenheit gegen
sie. Und zwar aus persönlichen Gründen und nicht, weil sie beruflich nicht
qualifizierte Arbeit leisten würde.“
Sonia wand sich aus seinem Griff. Sie war
überrascht von den heftigen Reaktionen der beiden Männer.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen