Kapitel 1
Sonntagabend, 23. September 2012
Claus Pfeifer
genoss die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde. Auf dem Weg zum Podium schüttelte
er zahlreiche Hände und posierte freundlich lächelnd mit jedem, der ihn darum
bat. Ein Blitzlichtgewitter nach dem anderen erhellte den Kuppelsaal des
Congress Centrums in Hannover. Sonia Assmer, die als Werbereferentin bei der
Messe arbeitete, bedankte sich im Stillen bei ihrem Chef Peter Lest. Er hatte
sie gebeten, an seiner Stelle an dieser Benefizveranstaltung teilzunehmen.
Sonia sah, wie
Yvonne Ziegler, eine ehemalige Miss Deutschland und seit längerem die Freundin
des gefeierten Fernsehkochs, immer wieder versuchte, sich bei ihrem Liebsten
einzuhaken und sich neben ihm zu präsentieren. Doch der Mittvierziger
schüttelte sie jedes Mal ab und drehte ihr den Rücken zu.
»Oh, oh – noch
mehr Ärger im Paradies«, unkte Akemi leise neben Sonia. Offenbar hatte die
kleine Vietnamesin die Szene auch mitverfolgt.
Sonia drehte sich
zu ihrer Freundin und sah sie neugierig an.
»Was meinst du
mit ‚noch mehr‘? Gab es schon anderen Ärger?«
Akemi schaute
sich schnell um, um sich zu vergewissern, dass niemand in direkter Hörweite war.
»Als ich von der
Toilette kam, hab ich einen Streit zwischen ihm«, sie deutete mit einem
Kopfnicken auf den Fernsehkoch, »und seiner Noch-Ehefrau mitbekommen. Er will
sich nämlich von ihr scheiden lassen, aber sie hat ihm die Papiere vorhin
einfach vor die Füße geknallt. Donnerlittchen, war die sauer!«
Sonia hatte sich
daran gewöhnt, dass Akemi, die in Dresden aufgewachsen war, zum Sächseln
neigte, wenn sie aufgeregt oder müde war.
»Ich wusste gar
nicht, dass der Pfeifer verheiratet ist.« Sonia strich sich eine Strähne ihres
kinnlangen braunen Haares hinter das Ohr und zog die Stirn kraus.
»Oh doch.« Akemi
nickte wissend. »Frau Pfeifer ist Stammkundin bei Marlis Möller, und wie du weißt,
plaudern die Damen im Salon häufig sehr detailliert.«
Akemi hatte die
Babypause nach der Geburt ihrer Tochter Rika vor zwei Monaten beendet, um wieder
stundenweise in ihrem alten Beruf als Friseurin zu arbeiten. Durch Zufall
arbeitete sie jetzt in dem vermutlich renommiertesten und teuersten
Friseursalon Hannovers. Ein Salon, in dem sich vor allem die gut betuchten
Damen der Hannoveraner Gesellschaft – und die, die gern dazu gehören wollten –
die Haare schneiden ließen.
»Seine Ehefrau
wohnt in Hannover?«
Akemi blickte
ihre Freundin kopfschüttelnd an.
»Auf welchem
Planeten lebst du eigentlich? Der Pfeifer kommt doch von hier!«
»Ich dachte, er
wohnt in Hamburg. Schließlich hat er dort auch sein Restaurant«, verteidigte
sich Sonia.
»Früher, als ihn
noch keiner kannte, hat er hier in Hannover gewohnt. In dem Haus, das seiner
Frau im Zooviertel gehört.«
Sonia pfiff leise,
als vor ihrem geistigen Auge die herrschaftlichen Villen in dem teuersten
Wohnviertel Hannovers auftauchten. Nachdem Gerhard Schröder vor mehr als zehn
Jahren vom niedersächsischen Minister-präsidenten zum Bundeskanzler gewählt
wurde, waren die Immobilienpreise dort noch höher geklettert.
»Seine Frau hat
ein Haus im Zooviertel? Dann hat sie wohl Geld, was?«
»Schon mal den
Namen von und zu Lieber gehört?« Akemi grinste spöttisch, als sie sah, wie
Sonia die Augen weit aufriss.
»Du meinst, sie
ist mit Ernst von und zu Lieber verwandt?«
Akemi nickte.
»Sie gehört zu
seinem Clan. Cousine oder so.«
Sonia erinnerte
sich an das erste Mal, als sie zusammen mit ihrem Nachbarn und guten Freund Alex
auf eigene Faust ein paar Nachforschungen zu einem vermeintlichen Unfall
angestellt hatten. Der millionenschwere Geschäftsmann Ernst von und zu Lieber
hatte damals einen Selbstmord vorgetäuscht, um sich dann mit seinem Liebhaber nach
Südamerika abzusetzen.
»Ist sie noch
hier? Ich würde sie gern sehen.« Sonia sah sich neugierig im Saal um.
Akemi stellte
sich Sonia gegenüber und raunte ihr leise zu: »Guck über meine Schulter. Sie
steht direkt am Pflanzenkübel. Sie trägt ein schwarzes, wallendes Kleid und hat
graues, kurzes Haar.«
Sonia blickte
über ihre kleine Freundin hinweg und erstarrte.
»Die?«, fragte
sie ungläubig. »Das ist ein Witz, oder? Die ist doch im Leben nicht mit dem
Pfeifer verheiratet.«
Akemi stellte
sich wieder neben Sonia und warf ihr ein scheinheiliges Lächeln zu.
»Wieso?«
»Na also, weil …
Ich meine …«, stotterte Sonia.
»Sag schon, was
du denkst. Trau dich!«
»Die ist eine
graue Maus und … so farblos und … dick«, brach es aus Sonia heraus.
»Ja. Das ist sie«,
bestätigte Akemi. »Darf ich vorstellen – Wilma Pfeifer, geborene Wilma von und
zu Lieber.«
Sonia schaute kopfschüttelnd
zwischen der fettleibigen, unattraktiven Frau und dem smarten, schlanken
Fernsehkoch hin und her.
»Wieso hat er gerade
sie geheiratet?«
»Du weißt doch,
die inneren Werte …« Akemi hob die Augenbrauen vielsagend.
»Jetzt mal
ehrlich. Sie scheint gar nicht zu seiner Persönlichkeit zu passen.«
Akemi zuckte mit
den Schultern.
»Keine Ahnung. Er
war ja nicht immer so berühmt. Auch heutzutage gibt es noch genügend Zweckehen.
Im Salon wird erzählt, dass er sie wegen des Geldes geheiratet hat.«
»Das glaub ich
sofort«, meinte Sonia düster. »Denn je länger ich sie mir angucke, desto
weniger fällt mir ein anderer Grund dafür ein. Und er will sich jetzt scheiden
lassen, aber sie nicht?«
Akemi nickte.
»Den Anfang des
Streits hab ich nicht mitgekriegt. Als ich kam, hat er leise was gesagt und sie
ist plötzlich voll in die Luft gegangen. Sie hat rumgezetert, dass er so viele
Flittchen haben könne wie er wolle, aber dass das für sie noch lange kein Grund
für eine Scheidung wäre. ‚Du kommst nur tot aus dieser Ehe raus!‘ Das hat sie
ihm ganz zum Schluss noch an den Kopf geknallt.«
»Was passierte
dann?«
»Danach ist sie
abgerauscht. Ich wollte nicht an ihm vorbeispazieren, als wenn nichts wäre,
also hab ich gewartet. Nur dann hat er sich zu mir umgedreht.«
Sonia fasste sich
an die Stirn. »Wie peinlich! Glaubst du, er hat geahnt, dass du alles
mitbekommen hast?«
Akemi verzog das
Gesicht.
»Weiß ich nicht.
Er hat ein zerknirschtes Gesicht gemacht und dann so was wie ‚Frauen‘
gebrummelt. Anschließend ist er auch weggegangen.«
Sonia blickte
zwischen Wilma und Claus Pfeifer hin und her. Während sich die übergewichtige
Frau nicht von der Palme wegbewegt hatte und sich jetzt mit einem kleinen Tuch
über die verschwitzte Stirn wischte, war der prominente Fernsehkoch
mittlerweile am Podium angekommen. Er klopfte kurz an ein Cocktailglas, welches
auf einem Stehpult stand, und das hell klingende Geräusch sorgte dafür, dass
das allgemeine Stimmengewirr abbrach und es sofort still im Saal wurde. Alle
Augen richteten sich auf Claus Pfeifer.
»Hallo zusammen,
ich bin Claus Pfeifer – bei mir gibt es das Ei im Eff Eff!«, stellte er sich
mit dem für ihn bekannten, markigen Spruch vor.
Das Publikum
applaudierte begeistert.
»Ich freue mich
sehr, dass Sie alle heute Abend zu unserer Auftaktveranstaltung von ‚Bunt isst
gesund‘ gekommen sind. Diese Benefizreihe wird in den nächsten Wochen durch
Niedersachsen touren, und den krönenden Abschluss werden wir in vier Wochen auf
der diesjährigen hannoverschen Verbrauchermesse, der Consuma, feiern. Dazu
möchte ich Ihnen einen guten alten Freund von mir vorstellen: Ohne ihn wäre die
Benefizveranstaltung in diesem Rahmen nicht möglich gewesen – Bernd Schneider,
Leiter der Messegastronomie in Hannover. Bernd, komm her und sag ein paar
Worte.«
Claus Pfeifer
machte eine einladende Bewegung zu dem blondhaarigen Mann, der rechts neben ihm
stand. Sonia kannte den Abteilungsleiter nur vom Sehen, da sie bisher noch nie
mit ihm oder seinem Team zu tun gehabt hatte. Nachdem Bernd Schneider ein paar
langweilige Worte zu der ‚Bunt isst gesund‘-Kampagne verloren hatte, gab er das
Mikrofon an den Oberbürgermeister der Stadt Hannover weiter. Nach zwei weiteren
Rednern war Claus Pfeifer wieder an der Reihe. Er hob das Cocktailglas und gab
damit das Signal für diverse Hostessen, die sofort mit schwer beladenen
Tabletts durch das Publikum gingen und jedem Besucher einen identischen
Cocktail anboten.
»Lassen Sie uns
alle gemeinsam anstoßen«, verkündete Pfeifer mit lauter Stimme und stellte sein
Glas kurz wieder ab. Er setzte erneut zum Reden an, machte eine ausladende
Bewegung mit den Armen und schlug dabei Bernd Schneider sein Getränk aus der
Hand. Der Messemitarbeiter machte einen abrupten Schritt zurück, das Glas knallte
auf den Boden und zersprang laut. Bernd Schneider guckte an sich herunter, aber
der Großteil des Alkohols schien sich auf dem Teppich und nicht über seinen
Anzug ergossen zu haben.
»Uups!« Claus
Pfeifer machte ein zerknirschtes Gesicht. »Da war ich wohl ein wenig zu
stürmisch.« Er griff nach seinem Cocktail und reichte ihn an den
Abteilungsleiter. »Hier Bernd, nimm mein Glas.«
Eine aufmerksame
Hostess eilte zum Fernsehkoch, um ihm einen neuen Cocktail anzubieten.
»So, wenn wir
jetzt alle versorgt sind, lassen Sie uns mit diesem speziell für den Abend
kreierten Beeren-Prosecco anstoßen. Ein kleiner Genuss aus Heidelbeeren,
Brombeeren und Himbeeren, mit einem Schuss Himbeergeist und aufgefüllt mit Prosecco!
Auf ‚Bunt isst gesund‘!«
»Bunt isst gesund«,
schallte es vom Publikum zurück und man hörte einzelne Gläser klingen.
Sonia musste
zugeben, dass die blauen und roten Beeren, die auf dem Glasboden lagen, prall
und gut aussahen. Vorsichtig schnupperte sie am Glas, der Sektgeruch war
unverkennbar.
»Lecker!« Akemi
strich sich mit der Zunge über die Lippen.
Sonia hatte die
Nase kraus gezogen.
»Wenn du willst,
kannst du meinen auch noch trinken.«
»Willst du ihn
nicht wenigstens probieren? Vielleicht schmeckt er dir.«
Sonia schüttelte
mit dem Kopf.
»Du weißt doch,
ich bin kein Fan von Alkohol, und gerade Prosecco brauche ich nur anzugucken
und schon kriege ich Kopfschmerzen.«
Akemi trank mit
einem beherzten Schluck ihr Glas leer und tauschte es gegen Sonias volles Glas
ein. Sonia schmunzelte. Manchmal tat ihre Freundin, als wenn es morgen nichts
mehr geben würde.
»Wie läuft es
eigentlich zwischen Kai und dir?« Die kleine Vietnamesin angelte sich eine
Heidelbeere aus dem Glas und sah Sonia auffordernd an.
Sonia presste die
Lippen zusammen. Kai Rackwitt, ein Angestellter der Werbeagentur ‚Löwe in
Platin‘ mit dem sie viel zusammenarbeitete, stand bei Akemi nicht hoch im Kurs.
Normalerweise endeten die Gespräche zwischen den beiden Freundinnen immer
damit, dass Akemi sich abfällig über ihn oder vielmehr sein Verhalten äußerte. Zugegebenermaßen
hatte Sonia auch ein wenig gebraucht, um sich an den Sprüche klopfenden,
gutaussehenden Graphiker zu gewöhnen, bevor sie festgestellt hatte, dass Kai
ein ganz liebenswerter Kerl war. Sehr, sehr liebenswert, wie Sonia jetzt
dachte. Ihr wurde warm ums Herz, als sie sich an seine grünen Augen erinnerte,
die sie erst am letzten Wochenende wieder verschlungen hatten, als sie …
»Was ist da los?«,
unterbrach Akemi ihre Gedanken und zeigte nach vorne.
Sonia sah, dass
Bernd Schneider sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf Claus Pfeifer stützte
und sich den Bauch hielt. Der Fernsehkoch griff nach dem Mikrofon und bellte
hinein: »Ein Arzt! Wir brauchen einen Arzt! Ist hier ein Arzt?«
»Was zum Kuckuck …«,
begann Sonia, bevor sie von hinten zur Seite gedrängt wurde.
»Aus dem Weg, ich
bin Ärztin«, rief eine große, schlanke Frau mit schwarzen, glatten Haaren bis
zum Po, in einem hochgeschlitzten Abendkleid und lief so schnell an Sonia
vorbei, wie es ihre High Heels erlaubten.
Das Publikum
hatte sich weiter an das Podium gedrängt, so dass Sonia den Gastronomieleiter
nicht mehr sehen konnte.
»Siehst du was?«
Die kleine Vietnamesin balancierte neben Sonia auf den Zehenspitzen.
»Nein.« Sonia
blickte sich um. Ihr Blick fiel auf den Pflanzenkübel, an dem Wilma Pfeifer
vorher gestanden hatte. Die Frau des Fernsehkochs war jedoch jetzt
verschwunden. Akemi folgte Sonias Blick.
»Gute Idee!« Sie
ging auf den Kübel zu.
»Hey, ich steig
da nicht rauf. Als Messeangestellte kann ich doch nicht auf einem Pflanzenkübel
stehen, nur um besser spannen zu können«, empörte sich Sonia.
»Musste auch
nicht. Hast ja mich.« Ehe Sonia sich versah, war Akemi auf den großen
Pflanztopf geklettert, hielt sich an der Palme fest und schaute nach vorne.
»Dein Kollege
liegt am Boden. Der ist total blass und zittert. Die Ärztin ist jetzt da und …«
In dem Moment dröhnte
die wütende Stimme von Claus Pfeifer durch den Saal: »Was wollen Sie denn hier?
Verschwinden Sie! Nimm einer dieses Weib weg! Überall, wo Frau Große-Wilde
auftaucht, gibt es nur Ärger. Sie macht ihrem Namen alle Ehre!«
Sonia sah ihre
Freundin fragend an und Akemi berichtete, was sie sehen konnte: »Der Pfeifer
versucht die Ärztin wegzuhalten. Sie und andere Leute reden auf ihn ein. Jemand
hält ihn fest und versucht ihn wegzuziehen, aber er – ah, jetzt hat er sich
offenbar ein wenig beruhigt, er tritt einen Schritt zur Seite und sie beugt
sich über den Mann.«
»Ist das auch
eine alte Freundin von ihm oder wieso kennt er die Ärztin?«, fragte Sonia.
Akemi hob die
Handflächen resignierend nach oben und schüttelte mit dem Kopf.
»Mensch, du lebst
aber auch echt in einer Parallelwelt, oder? Sie ist doch wirklich unverkennbar.
Und dann hat er sogar eben auch noch ihren Namen gesagt – Große-Wilde! Klingelt
da gar nichts bei dir?«
Sonia dachte
angestrengt nach, konnte sich aber beim besten Willen keinen Reim auf den Namen
machen.
Akemi seufzte.
»Hast du jemals
seine TV-Sendung ‚Sternekoch‘ oder ‚Sternekoch junior‘ gesehen?«
Sonia machte eine
verneinende Kopfbewegung.
»So was
interessiert mich nicht.« Dann gluckste sie in sich hinein. »Weißt du, wie die
Amerikaner diese Sendungen nennen? ‚Food Porn‘ – das hat mir unser
amerikanischer Repräsentant Calvin erzählt. Lustig, oder?«
Die kleine
Vietnamesin rollte mit den Augen.
»Ja, lustig. Wenn
du allerdings mal ‚food porn‘ in den letzten Wochen geguckt hättest, dann
wüsstest du, wer Frau Große-Wilde ist!«
»Komm, jetzt
spann mich nicht länger auf die Folter«, bat Sonia ihre Freundin. »Wir wissen
beide, dass ich ein, nennen wir es, Defizit bei öffentlichem Klatsch und
Tratsch besitze. Aber anstatt da jetzt noch länger drauf rumzureiten, klär mich
lieber über diese Ärztin auf.«
»Frau Eleonore
Große-Wilde, genannt Ellie, ist Ärztin aus Braunschweig. In ihrer Freizeit
kocht sie leidenschaftlich gern und hat daher in der letzten Staffel von
‚Sternekoch‘ mitgemacht. Claus Pfeifer konnte ihre Gerichte von Anfang an nicht
leiden und hat sie immer stark kritisiert, aber die beiden anderen Köche fanden
ihr Essen gut, so dass sie die ersten drei Runden überstanden hat. In der
vierten Runde gab es dann ein totales Desaster, so dass sie mit einem
verbrannten Soufflé den Wettbewerb verlassen musste. Später hat sie behauptet,
dass man ihren Ofen manipuliert hätte, um sie loszuwerden.«
»Dann würde ich
ja eher verstehen, dass sie ihn nicht leiden kann und nicht umgekehrt«,
bemerkte Sonia.
»Das war auch
noch nicht die ganze Geschichte.« Akemi holte Luft. »Kurze Zeit später gab es
eine neue Kochshow: ‚Sternekoch junior‘ – die gleichen Köche in der Jury,
dieses Mal aber mit Kindern im Alter von neun bis dreizehn Jahren als
Teilnehmer.«
»Oh, oh“, unkte
Sonia. „Lass mich raten – Frau Große-Wilde hat ein Kind und das hat daran
teilgenommen?«
»Ja. Ihre Tochter
Leonie, genannt Leo, war mit neun Jahren die jüngste Teilnehmerin. Und auch
eine der Besten. Doch sie hat immer wieder Gerichte gekocht, in denen sie auf
Anraten ihrer Mutter Ananas mit untergebracht hat.«
»Hä? Ananas?«
»Claus Pfeifer
hat eine leichte Ananasallergie. Er kann sie essen, ohne das er Atemnot oder so
bekommt, aber seine Zunge schwillt leicht an, und für die nächsten Stunden hat
er ein Taubheitsgefühl im Mund.«
Sonia zog die
Augenbrauen hoch.
»Echt? Das ist ja
fies. Und das wusste Frau Große-Wilde?«
»Ja. Das weiß
jeder, der beim ‚Sternekoch‘ mitmacht. Es wird gebeten, bei der Zubereitung der
Speisen darauf Rücksicht zu nehmen. Bisher hat niemand es gewagt, während der
Show ein Gericht mit Ananas zu kochen. Nur die kleine Leo hat jedes Mal etwas
mit Ananas aufgetischt, was Claus Pfeifer dann kosten musste und den restlichen
Tag nichts mehr probieren konnte.«
»Dann verstehe
ich, dass er kein Fan von Frau Große-Wilde ist. Tut sich da vorne eigentlich
schon was? Geht es Bernd Schneider wieder besser?«
Akemi schaute erneut
nach vorne.
»Die Große-Wilde
quatscht in ihr Handy. Jemand hat offenbar eine Decke gebracht, die legen sie
ihm unter den Kopf. Und… iih. Ich glaube, er hat gerade gekotzt. Ja – die Leute
sind zur Seite gesprungen. Dein Kollege hat sich übergeben.«
Sonia blickte auf
die undurchdringlichen Rücken der anderen Zuschauer. Was war bloß los mit Bernd
Schneider? War er krank?
»Scheiße, Sonia!«
Akemi atmete plötzlich ganz schnell.
Sonia sah besorgt
zu ihrer Freundin hoch.
»Was ist? Was ist
los?«
»Ellie, die
Ärztin, also Frau Große-Wilde, sie macht …« Akemis Augen waren so weit
aufgerissen, dass man rund um die Pupillen weiß sehen konnte. »Sie macht gerade
Wiederbelegung. Mit auf den Brustkorb hauen und beatmen und so.«
Sonia lehnte sich
an den Pflanzenkübel und schloss für einen Moment die Augen. Doch damit ließ
sich weder das aufgeregte Stimmengewirr im Raum noch die Verwirrung in ihrem
Kopf abstellen. Sie griff in die Tasche ihres Blazers, fummelte sich einen
Bonbon aus einem PEZ-Spender heraus und steckte ihn sich in den Mund. Der
Pfefferminzgeschmack auf ihrer Zunge fühlte sich kühl an.
Dann hörte sie
Claus Pfeifer mit kräftiger Stimme verzweifelt rufen: »Das ist nicht wahr!
Versuchen Sie es weiter! Verdammt noch mal! Machen Sie Ihren Job! Der Notarzt
kommt gleich. Bernd! Bernd, hörst du mich? Wach auf. Wach auf!«
Sonia öffnete die
Augen, drehte den Kopf nach oben und sah ihre Freundin fragend an. Akemi beugte
sich zu ihr herunter und nestelte an dem Kragen ihrer Bluse.
»Sonia – ich
glaube, er ist tot.«
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