Kurzsturz



Am Eröffnungstag der Computermesse in Hannover kommt es zu einem tragischen Unfall auf dem Ausstellungsgelände: Eine französische Messemitarbeiterin stürzt von der Außentreppe einer Halle und zieht sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Doch damit nicht genug: Einen Tag später stirbt die Französin, ein Wachmann wird am Stand des Bundesamts für IT-Sicherheit brutal niedergeschlagen und die Polizei verhaftet die junge Doktorandin Theresa Nandes mit Verdacht auf Industriespionage.
Doch Sonia Assmer, die als Werbeassistentin bei der Messe arbeitet, glaubt an Theresas Unschuld und der mysteriöse Unfall ihrer Kollegin hat sie ebenfalls neugierig gemacht. Sie beginnt auf eigene Faust mit ihrem Nachbarn, dem Journalisten Alex, auf dem Messegelände zu ermitteln…


AUSZUG

Prolog


Ein Tag im September 2011

Sonia schreckte hoch. Das schrille Quietschen wurde langsam leiser, während sie sich die Augen rieb. Schlaftrunken blickte sie im Waggon umher bis ihr Blick auf einen Laptop fiel, der schräg vor ihr auf dem Tisch stand. Eine zierliche Frau mit einem hellbraunen kurzen Lockenkopf tippte geräuschvoll auf der Tastatur.
Sonia bemerkte die kirschroten Pumps, die die junge Mitfahrerin ausgezogen und unter den Tisch gestellt hatte. Ihre Beine waren unterm Tisch ausgestreckt, ein Zeh blitzte durch ein Loch im Nylonstrumpf hervor. Geschäftsfrau, vermutete Sonia und schielte neugierig auf den Laptop.
Sie stutzte als sie das Bild eines deutschen Personalausweises auf dem Monitor erkannte. Die Frau ließ den Cursor in die Namenszeile springen. Aus ‚Martin Müller’ wurde plötzlich ‚Nasir ad-Din Umar Ybi’ und bei dem Geburtsort löschte sie ‚Hamburg’ und tippte ‚Abu Durba’ ein. Dann speicherte sie die Datei, klappte den Laptop zu, stand auf und ging zufrieden lächelnd an Sonia vorbei in Richtung Toilette.
Irritiert blickte Sonia aus dem Fenster und sah die herbstliche Landschaft vorbeirasen. Hatte die Frau gerade vor ihren Augen einen deutschen Ausweis gefälscht? Mitten in einem ICE von Hamburg nach Hannover? Plötzlich war sich Sonia nicht mehr sicher, was sie gesehen hatte.

Plötzlich ruckelte der Zug wieder stark und der Laptop fing laut an zu klappern und hüpfte über den kleinen Tisch. Sonia sprang auf und griff danach, um ihn am Runterfallen zu hindern.
„Danke.“ Die junge Frau war zurückgekehrt und stand plötzlich hinter ihr.
„Der Zug…es wackelte so stark…der Laptop“, stammelte Sonia.
Sie merkte, wie sie rot wurde und es kam ihr vor, als wenn die Laptopbesitzerin sie beim Stehlen ertappt hätte. Die Frau lächelte Sonia an, dabei strahlten ihre großen runden Augen. Sonias peinliches Gefühl verschwand – stattdessen breitete sich Neugier in ihr aus. Wer war die Frau und hatte sie wirklich vor Sonias Augen einen Ausweis gefälscht?
Die Frau streckte eine Hand aus, um Sonia den Laptop wieder abzunehmen. Beide setzten sich wieder auf ihre Plätze. Sofort begann die junge Frau den Laptop wieder hochzufahren und im Nu war der veränderte Ausweis wieder auf dem Bildschirm zu sehen. Sonia betrachtete das manipulierte Dokument neugierig. Sie hatte sich tatsächlich nicht getäuscht. Was sollte sie jetzt tun?
Als die Frau das Passbild mit dem Foto eines arabisch aussehenden Mannes getauscht hatte, riss Sonia die Augen weit auf. Was tat die Frau? Wieso war sie in der Lage, einen deutschen Personalausweis auf ihrem Laptop zu bearbeiten? Wieso ersetzte sie alle Informationen durch die Daten eines offensichtlich arabischen Mannes?
Sonia starrte weiter auf das Foto und suchte verbissen nach einer harmlosen Erklärung, als eine harsch klingende Stimme ihre Gedanken unterbrach.
„Kann ich helfen?“
Sonia schrak zusammen. Sie blinzelte ein paar Mal und erkannte dann, dass sich die junge Frau zu ihr umgedreht hatte. Sofort war Sonia wieder peinlich berührt und schämte sich für ihre offene Neugier. Sie öffnete den Mund, doch konnte keinen Ton von sich geben. Es hatte ihr regelrecht die Sprache verschlagen.
Die Frau blickte Sonia herausfordernd an. Ihre großen Augen wirkten jetzt kalt und passten gar nicht zu der sonst so kleinen Person. Unvermittelt fröstelte Sonia. Gehörte ihre Mitfahrerin zu einer so genannten terroristischen Zelle? Waren das nicht auch immer Menschen, die völlig normal wirkten und sich dann später als eiskalte Killer entpuppten?
„Offenbar nicht“, kommentierte die Frau Sonias Schweigen und drehte sich wieder zurück. Sie schob den Laptop weiter nach rechts und drehte sich selbst so davor, dass Sonia nur noch ihren Rücken sehen konnte.
Sonia konnte sich gar nicht beruhigen. Was sollte sie denn jetzt tun? Sollte sie den Schaffner informieren? Die Notbremse ziehen? Oder in Hannover am Bahnhof die Polizei verständigen? Sie blickte wieder aus dem Fenster und atmete tief durch. Übertrieb sie es nicht vielleicht ein bisschen? Sonia erinnerte sich an die Fernsehbilder zum zehnjährigen Gedenken an den Anschlag auf das World Trade Center in New York aus den vergangenen Tagen. Wenn die junge Frau einen deutschklingenden Namen und ein passendes Foto eingefügt hätte, hätte Sonia dann auch so ein beklemmendes Gefühl bekommen?
„Nächster Halt – Hannover Hauptbahnhof. Hier haben Sie Anschluss…“ Die Durchsage unterbrach ihre Gedanken.
Sonia zog ihre Jacke an, griff nach ihrer Tasche, stand auf und zögerte. Sie könnte den hinteren Ausgang nehmen und würde die Frau nie wieder sehen. Oder sie könnte zum vorderen Ende des Waggons gehen und dabei noch mal einen Blick auf den Laptop und die vermeintliche Terroristin werfen.
Auf dem Laptop lief ein Bildschirmschoner. Die Frau guckte hoch, als Sonia an ihr vorbeiging. Der rot gemusterte Schal rutschte dabei ein wenig zur Seite und legte eine lange Brandnarbe an ihrem Hals frei. Sonia zuckte unwillkürlich zurück.

„Schönen Tag noch. Kommen Sie heil nach Hause.“ Obwohl es nette Grußworte waren, hörte es sich für Sonia eher wie eine Drohung an. Sie schluckte schwer und quetschte ein „Danke, gleichfalls.“ hervor.

Während des gesamtes Weges den Gang herunter bis zur Tür spürte Sonia, wie sich der Blick der Frau durch ihren Rücken bohrte. Sonia schauderte. Sie wollte nur noch raus aus dem Zug.
Kaum waren die Türen aufgegangen, stürzte Sonia auf den Bahnsteig. Fast zitternd vor Aufregung und Angst fiel sie ihrem Nachbarn Alex in die Arme.
„Alles klar?“, fragte er sie verblüfft. „Du warst doch nur einen Tag weg.“
Als der Zug langsam aus dem Bahnhof rollte, blickte Sonia noch mal auf. Die Frau starrte sie ungeniert an und salutierte als sie an Sonia und Alex vorbeifuhr. Da wurde Sonia mulmig zumute.


Kapitel 1



Sonntagabend, 04. März 2012

Im Zeichen des Präsinators
Am Sonntagabend wird Bundeskanzlerin Susanne Lammert zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten Albert Braunschweiger die HIT (Hannover Information Technology) eröffnen. Die größte Computermesse der Welt konnte dieses Jahr die USA als Partnerland gewinnen. In den nächsten sieben Tagen werden auf dem Messegelände in Hannover die neusten Innovationen und Lösungen aus der IT-Branche gezeigt werden. Als einer der Ausstellungsschwerpunkte werden dieses Jahr umweltfreundliche Informationstechnologien im GreenIT-Bereich präsentiert. Darüber hinaus…

Sonia blickte gelangweilt von der Samstagsausgabe ihrer Zeitung auf. Es war der Abend der Eröffnungsfeier der HIT und sie saß auf einem Stuhl im Kongresszentrum zwischen zwei Reihen schier endloser Kleiderhaken. Als ihre beste Freundin Akemi sie gefragt hatte, ob sie nicht Lust hätte als Garderobenfrau auszuhelfen, hatte Sonia begeistert zugesagt. Denn obwohl sie die Feier so lange mit vorbereitet hatte, hatte sie keine offizielle Einladung erhalten. Nur wenige Mitarbeiter der Messe durften bei der Feier dabei sein. Und für die Werbeabteilung war diese Ehre natürlich Peter Lest vorbehalten.
Sonia unterdrückte ein Schnauben als sie an ihren Vorgesetzten dachte. Unter den Kollegen nannte man ihn Zero – denn die Null entsprach seiner Qualifikation und Erfahrung, was Marketing und Werbung anging. Ganz böse Zungen hatten auch schon mal behauptet, die Null entspräche seinem IQ.
Jedenfalls hatte Sonia sich wirklich auf diesen Abend gefreut – der amerikanische Präsident und die Bundeskanzlerin hatten ihre Teilnahme zugesagt und auch andere VIPs waren eingeladen. Und auch wenn Sonia es ungern zugab, aber so ein bisschen Promigucken machte auch ihr Spaß.
Doch bisher passierte einfach nichts. Sonia griff in ihre Handtasche, holte einen PEZ-Bonbonspender heraus und schaute sich um. Akemi tauschte mit den anderen Frauen lautlachend Anekdoten aus dem Arbeitsleben im Kongresszentrum aus. Auf den ersten Blick wirkte Sonias Freundin mit ihren dunklen langen glatten Haaren und den feinen Gesichtszügen wie die typische Klischee-Asiatin. Doch wer sie kennenlernte, wusste sofort, dass die kleine Vietnamesin es faustdick hinter den Ohren hatte. Und nur wenn sie aufgeregt oder müde war, verriet ihr sächselnder Tonfall, dass sie in Dresden aufgewachsen war.
Akemi hatte vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter Rika wieder angefangen, aushilfsweise ein paar Euro im Kongresszentrum dazu zu verdienen. Sonia war sich allerdings sicher, dass es ihrer Freundin in erster Linie gar nicht um das Geld ging. Akemi genoss die Abende als Servierkraft bei verschiedenen Bällen und Kongressen – es waren Momente, in denen sie aus ihrer Mutter- und Hausfrauenrolle schlüpfen konnte. Heute stand sie allerdings an der Garderobe, da aufgrund strenger Sicherheitsvorkehrungen nur ausgebildete Restaurantfachleute im Saal bedienen durften.

„Da hasde“, Akemi biss sich auf die Zunge und versuchte es noch mal ohne zu sächseln: „Du hast wirklich so ein Ding hier mit hergebracht?“ Sie blickte ungläubig auf den PEZ-Spender in Sonias Hand.
Sonia ließ zwei Bonbons in ihren Mund fallen.
„Ich hab immer einen dabei. Das solltest du doch allmählich wissen. Diesen hier habe ich extra für heute Abend ausgewählt. Der Eliminator.“ Stolz präsentierte sie die kleine Plastikfigur, die auf die berühmte Filmrolle von Albert Braunschweiger anspielte, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde.

Anstatt einer Antwort rollte ihre Freundin nur belustigt mit den Augen. Dann stützte sie die Arme auf die Theke und reckte den Hals: „Ich glaube, es geht los.“
Sonia blickte ebenfalls zum Eingang und sah, wie sich ein Haufen Reporter vor der Glastür dichter an die Absperrung zum roten Teppich drängelten.
„Siehst du was?“ Akemi balancierte auf ihren Fußspitzen.
Sonia, die ihre kleine Freundin überragte, schüttelte mit dem Kopf.
„Nein. Aber wenn der eine Fotograf noch mal versucht, einen meiner Werbewürfel als Trittleiter zu benutzen, gehe ich raus und hole ihn dir als Trittleiter.“
Akemi fing an zu kichern. Bevor sie jedoch etwas dazu sagen konnte, fing draußen ein Blitzlichtgewitter an. Als einer der Fotografen die Tür öffnete, zog kalte Luft durch den Raum und lautes Stimmengewirr drang in die sonst so stille Halle.
„Da“, mehr brachte Akemi nicht heraus.
Dutzende breitschultrige Männer mit Militärhaarschnitt und Hörmuschel im Ohr standen plötzlich direkt vor dem Eingang.
„Secret Service – die Bodyguards des Präsidenten“, bemerkte Sonia.
„Die sehen aus wie aus einem schlechten Hollywoodfilm“, beschwerte sich Akemi. „Ich hätte nicht gedacht, dass die tatsächlich so rumlaufen!“
Inmitten der Menschenmasse erkannte Sonia dann den markanten Kopf des amerikanischen Präsidenten Albert Braunschweiger. Der ehemalige Bodybuilder und Schauspieler drehte sich direkt vor dem Eingang noch einmal zu den Journalisten um. Sonia sah, wie er eine Bodybuilder-pose einnahm, indem er seinen linken Arm in die Hüfte stützte, seinen rechten Arm zur Seite ausstreckte und den Bizeps anspannte. Jubelrufe, Beifall und Gelächter waren zu hören und ein weiteres Blitzlichtgewitter entbrannte. Dann stand er plötzlich im Foyer nur wenige Meter von Sonia und Akemi entfernt. Sonia spürte wie ihr Herz klopfte und betrachtete ihn neugierig.
Albert Braunschweiger war ein großer Mann – sie schätzte ihn auf mindestens 1,90m – mit einem breiten Kreuz. Für einen über 60jährigen war er sehr gut gebaut, man sah ihm an, dass er früher jahrelang intensiv Krafttraining betrieben hatte. Einzig sein Gesicht kam Sonia unnatürlich glatt und braun vor.
„Eiferbibbsch!“, entfuhr es Akemi. „Der ist cool, oder?“ Sie flüsterte so leise, dass Sonia sie kaum verstehen konnte. „Ich wusste nicht, dass der so riesig ist. Voll das Tier.“
Sonia warf ihrer Freundin einen belustigten Seitenblick zu. Hatte sie den amerikanischen Präsidenten gerade ein Tier genannt?
Zwei ernst wirkende Bodyguards redeten auf den ehemaligen Mr. Universum ein und versuchten ihn in Richtung Kuppelsaal zu drängen. Doch Albert Braunschweiger schüttelte den Kopf und blieb einfach stehen. Bevor Sonia und Akemi rätseln konnte, was da vor sich ging, öffnete sich die Tür erneut. Unbemerkt von den beiden jungen Frauen war die Bundeskanzlerin draußen über den roten Teppich geschritten und hatte jetzt ebenfalls den Vorraum betreten. Um sie herum bewegten sich vier Leibwächter, die angesichts der Armada der amerikanischen Secret Service Agenten ein wenig verloren aussahen.
Albert Braunschweiger strahlte übers ganze Gesicht, ging forschen Schrittes auf die Kanzlerin zu und schüttelte ihre Hand. Auch die deutsche Politikerin schien sich zu freuen.
„Die scheinen sich ja gut zu verstehen.“ Akemi blickte kurz zu ihrer Freundin, doch dieses Mal reagierte Sonia nicht.
Sie hatte den Protokollchef der Messe entdeckt, der mit großen Schritten auf die mittlerweile große Gruppe zu hastete. Sonia erinnerte sich, dass noch eine gemeinsame Pressekonferenz auf dem Plan stand. Der Protokollchef begrüßte beide Politiker und führte dann alle an der Garderobe vorbei zu einem Nebenraum, der für die Pressekonferenz hergerichtet war.
Weder Albert Braunschweiger noch die deutsche Kanzlerin warfen auch nur einen Blick auf die Garderobe und die Frauen dahinter. Ehe sich Sonia versah, waren beide auch schon wieder verschwunden.
„Wenigstens haben wir beide von ganz nah gesehen.“
Akemi stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Und auch Sonia hatte sich mehr versprochen.
Doch viel Zeit zum Trübsal blasen blieb den beiden Freundinnen nicht. Denn kaum war die Gruppe aus dem Vorraum verschwunden, öffnete sich die Tür erneut und die Journalisten und Fotografen stürmten ins Foyer. Sonia sah zwischendurch ihren schlaksigen Nachbarn und guten Freund Alex an einer der Garderoben stehen. Seine dunkelblonden, lockigen Haare wirkten zerzaust, Sonia vermutete, dass er seine dicke Hannover 96-Wollmütze getragen hatte. Er winkte ihr kurz zu, doch Sonia hatte zwei schwere Winterjacken in den Händen. Nachdem sie diese aufgehängt hatte, war Alex auch schon wieder weg. Innerhalb kürzester Zeit war die Garderobe voll, denn die meisten Journalisten hatten sich beeilt, einen guten Platz bei der Pressekonferenz zu erhaschen, während ein paar wenige gleich in Richtung des Kuppelsaals verschwunden waren. Sonia ließ sich auf einen Stuhl in der Ecke fallen.

„Ich dachte, das hört gar nicht mehr auf.“
Akemi stand noch an der Theke und schaute in Richtung des Konferenzraums.
Sonia klopfte mit der Hand auf die Sitzfläche des Stuhls neben sie.
„Komm. Setz dich auch. Die gehen von dem Raum sowie so durch eine andere Tür direkt in den Kuppelsaal. Die siehst du so schnell nicht wieder.“
Akemi blickte enttäuscht zu ihrer Freundin.
„Lass sie doch schauen - man sollte die Hoffnung nie aufgeben“, schaltete sich eine der anderen Garderobenfrauen ein.
Sonia strich sich eine dunkle Strähne aus ihrem Gesicht und sah zwischen den beiden Frauen hin und her.
„Glaubt mir, ich kenne den Ablaufplan und die Wege. Die werden wir nicht mehr wiedersehen.“
Bevor die andere Aushilfe etwas sagen konnte, kam Akemi ihr zuvor.
„Sonia hat vermutlich Recht. Sie hat das ja schließlich alles mitorganisiert.“
„Klar, deshalb steht sie jetzt auch hier“, bemerkte die Garderobenfrau schnippisch.
Sonia hatte Mühe ihren Ärger runterzuschlucken und die Bemerkung zu ignorieren. Akemi kam zu ihr herüber, setzte sich, schlug ein Bein über das andere und wippte nervös hin und her.
„Christian hat noch gesagt, ich soll eine Kamera mitnehmen und ein Bild machen, denn sonst glaubt es mir keiner. Aber das war mir zu peinlich. Und jetzt ärgere ich mich ein bisschen.“
„Seit wann stehst du auf Mr. Universum?“, neckte Sonia sie.
„Tue ich ja gar nicht!“ Akemis Stimme hatte einen gespielt beleidigten Unterton. „Aber der ist ja schon eine Persönlichkeit, die man nicht jeden Tag auf der Straße sieht.“

In diesem Moment wurde die Foyertür erneut geöffnet. Sonia blickte hoch und fühlte, wie ihr Herz für einen Moment aussetzte. Wieso kam ihr Chef durch diese Tür, anstatt den Haupteingang zu nehmen, wie alle anderen normalen Gäste auch? Was wollte er an dem Nebeneingang, der für Politiker und Journalisten reserviert war?
Peter Lest betrat den Vorraum. In seinem Arm hielt er eine Frau. Sonia erkannte sofort, dass seine Begleitung nicht seine Ehefrau war, dessen Foto er auf dem Schreibtisch stehen hatte. Er schaute sich einen Moment im Foyer um und Sonia erschien es, als wenn er ebenso unangenehm überrascht war, seine Mitarbeiterin hier zu sehen. Er ließ die Unbekannte los und  steuerte dann direkt auf ihre Garderobe zu.

„Frau Assmer – reicht Ihnen das Geld bei uns nicht mehr?“, fragte er Sonia spöttisch und taxierte sie mit kleinen, zusammengekniffenen Augen. Die dunkelhaarige Frau blickte durch ihre Nickelbrille fragend zwischen ihm und Sonia hin und her.
„Sie arbeitet für mich“, erklärte Peter Lest.
„Ich arbeite in der Werbeabteilung“, korrigierte Sonia ihn.
Zeros Begleitung schälte sich aus ihrem langen Mantel und reichte ihn Akemi über den Tresen.
„Haben Sie dafür noch Platz?“, fragte sie mit tiefer rauchiger Stimme.
Sonia bemerkte, dass sie älter war, als sie auf die Entfernung ausgesehen hatte. Aus der Nähe waren zahlreiche und teilweise auch sehr tiefe Falten um die Augen zu erkennen. Anfang Fünfzig schätzte Sonia in Gedanken.
„Bitte.“ Akemi reichte ihr eine Abholmarke.
Der Chef der Werbeabteilung wischte sich kurz mit der Hand ein paar Schweißperlen von der Stirn, nickte den beiden Freundinnen kurz zu und verschwand dann mit der Frau in Richtung Kuppelsaal.

„War das echt dein Chef?“, wollte Akemi sofort wissen, nachdem die beiden außer Hörweite waren. „Der berühmt-berüchtigte Zero?“
Sonia nickte.
„Wie peinlich!“
„Du sagst es.“
„War das seine Frau? Die sah sehr viel älter aus als er.“
„Nein, seine Frau war das nicht. Die ist blond und jünger.“ Sonia spielte mit dem kleinen Eliminator, indem sie ihn auf- und zuklappen ließ. „Aber ich habe keine Ahnung, wer das ist“, fügte sie nachdenklich hinzu.

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